Begegnungen mit den Autoren, die sich an der Gemeinschaftslesung im „Alles-wird-schön“ am 21. März beteiligten und damit die SuedLese 2017 eröffneten. Heute tausche ich mich mit Gisela Baudy aus, die aus ihrem Gedichtband „Tonspuren – Lyrisches Tagebuch“ vorlas.
Im Rahmen der SuedLese lernte ich den Lyriker Volker Maaßen kennen und schätzen, der bei seinen Lesungen immer eine schwarze Baskenmütze und einen roten Schal trägt. Auch du trugst bei der Lesung eine Kopfbedeckung. War das Zufall oder hat das etwas zu bedeuten?
Das ist Zufall. Denn ich trage solche Mützen auch im Alltag. Obwohl mein Gedichtband bereits Anfang Oktober 2016 erschienen ist, war die Lesung am 21. März 2017 sozusagen meine “Premiere” für eine literarische Lesung. Die “Kopfbedeckung” hatte also auch in dieser Hinsicht noch gar keine Chance, sich zu einem besonderen Symbol oder Markenzeichen zu entwickeln. Schön wäre es allemal, bevor die Mütze nur noch dazu dient, allzu dünne Haare zu verstecken.
Lyrik hat es nicht gerade leicht. Die Nachfrage nach Spannung, Humor und kurzweiliger Unterhaltung ist ungleich größer. Wie viel Mut gehört dazu, sich mit Texten sicht- und hörbar zu machen, die tief in eine Gefühlswelt eintauchen, und einer Sprache zu bedienen, die vielen Menschen schwer zugänglich ist?
Es gehört viel mehr Mut dazu, auszuhalten, wenn sich veröffentlichten Texte nicht “sicht- und hörbar machen”. Wenn jemand das eigene Werk, das ja immer eine Art Ansprache ist, wortlos weglegt oder nicht einmal in die Hand nehmen will. Denn alles, was in der Literatur- und Kunstwelt entsteht, braucht ein Gegenüber, das antwortet. Alles braucht den Fluss und die Berührung, um da und dabei zu sein.
Hast du dich schon immer zu ernsten Themen hingezogen gefühlt?
Wenn mich der Ernst des Alltags nicht auffrisst und mir die Chance gibt, mich in einen inneren Raum zurückzuziehen, wird es in mir unweigerlich still. Mit dem tristen Alltag und seiner Übertönung durch laute Unterhaltung hat es auch zu tun, warum es vielen schwerfällt, ernsthaft dem nachzugehen, worum es ihnen wirklich geht. Aber was du sagst, ist richtig: Mein Grundthema “Kontakt” und mein Grundgefühl, nicht da und dabei zu sein, waren schon immer sehr stark und haben mir – ob ich das wollte oder nicht – schon früh den Alltag “ver-rückt”.
„Schreiben heißt, sich selber lesen“ (Max Frisch). Stimmst du dieser Aussage zu?
Bei dem kurzen Zitat könnte man meinen, dass Max Frisch bei jedem Menschen eine feste Identität voraussetzt, die er beim Schreiben nur finden und festhalten muss. Das vollständige Zitat spricht jedoch eine andere Sprache: “Man hält die Feder hin, wie eine Nadel in der Erdbebenwarte, und eigentlich sind nicht wir es, die schreiben; sondern wir werden geschrieben. Schreiben heißt: sich selber lesen.” Schreiben ist hier eher ein Hinsehen, ein Hinhören, was mit dir beim Schreibprozess passiert. Bei dieser Sicht kann ich Max Frisch voll zustimmen. Für mich persönlich ist Schreiben zunächst immer ein In-Kontakt-Treten mit meinen Gefühlen und die Suche nach Licht und Berührung. Aber Schreiben heißt für mich auch, sich aus den Fesseln des Alltags lösen. Es ist ein “Sich-selber-Lesen”, indem es dir Lese-Möglichkeiten erschließt, die die reale Welt nicht bietet.
Wie förderlich ist es für das Selbstverständnis und die Identitätsfindung, in sich hineinzuhorchen und der Stimme, die dann erklingt, Ausdruck zu verleihen?
Mir sagen die Begriffe “Ich-Identität” und “Identitätsfindung” nur wenig. Wir sind alle jeder für sich im Leben immer auf der Reise und auf der Suche. Und wir stehen, wie der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick bereits sagte, von Geburt an schon immer im Dialog mit den anderen. (” Man kann nicht nicht kommunizieren.”) Das ist auch bei Kunstschaffenden der Fall, auch wenn es ihnen natürlich um eine spezielle Art der Ansprache geht. Denn Kommunikation ist nicht gleich Kommunikation. Es sind Berührung und Begegnung, die Leben erst lebenswert machen. Lebendigkeit ist ein wichtiges, aber sehr sensibles Instrument, das ein erlebtes Trauma oder der Staub des Alltags schnell verstimmt. Sie bleibt uns erhalten, wenn etwa ein Lied, eine Malerei oder eine schöne Textpassage die Saiten geschmeidig zum Klingen bringt.
In welcher Stimmung schreibst du vorzugsweise?
Bei meinen frühen Gedichten waren da meist ein tiefer Schmerz und ein paar Worte, die sich mir zum Aufschreiben aufdrängten. Heute schreibe ich, wenn ich die Möglichkeit habe, mich zurückzuziehen oder den Kopf von den alltäglichen Sorgen zu befreien. Dann kann ich in jeder Stimmung sein. Natürlich bin ich dann meist auch in Gesellschaft mit meinen Erinnerungen und den damit verbundenen Gefühlen.
Wie reagierst du, wenn jemand Fragen zur Bedeutung eines Textes stellt? Versuchst du dann, ihn zu erklären bzw. geht das überhaupt? Oder würde das eine persönliche Grenze überschreiten?
Nein, mit Grenzüberschreitung hat das nichts zu tun. Ich helfe auch gerne weiter, wenn jemand so gar keine Vorstellung hat, wie bestimmte Textstellen zu lesen sind. Ansonsten überlasse ich es gerne jedem Leser, sich einen eigenen Reim drauf zu machen. Denn viele Gedichte sind in der Bedeutung offen, aber nicht beliebig. Bei solchen Werken kann es keine bestimmte Antwort zu einer bestimmten Frage geben. Jeder Leser hat seine eigene Lesart und darf und soll sie auch haben.
Du hast bisher einen Lyrikband veröffentlicht und bist in mehreren Anthologien vertreten. Gibt es neue Projekte?
Zurzeit leider nein, wenn ich von einigen wenigen sozialkritischen und ein paar neuen Gedichten absehe. Ich hätte mit meinen Texten im Gedichtband “Tonspuren” wohl gut und gerne mehrere Bände füllen können. Aber ich zog es vor, die einzelnen Kurzgedichte und Tagebuchnotizen in die Lebensgeschichte der Protagonistin Clarissa einzubinden und ihnen damit einen weiteren (und zugleich engeren) Interpretationsrahmen zu geben. Ich kann heute nur sagen, was ich plane: Kurzgeschichten und/oder Erzählungen. Vielleicht auch ein paar neue umwelt- und sozialkritische Gedichte.
Deinen Tonspuren folgte ich gerne und fand die daraus resultierenden Begegnungen sehr berührend. Vielleicht veröffentlichst du dein nächstes Buch ja mit uns von awsLiteratur…
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